Interview mit Michèle Dünki-Bättig, Präsidentin VPOD Zürich Kanton geführt von Christoph Schlatter
«Ich wollte direkt bei den Grossen mitmachen»
Michèle Dünki-Bättig arbeitet als Informations- und Dokumentationsfachfrau beim Bibliotheksverbund NEBIS und ist seit ein paar Monaten Präsidentin des VPOD Zürich Kanton. Daneben amtet sie als Finanzvorsteherin ihrer Wohngemeinde Glattfelden und vertritt die SP auch im Kantonsrat. Christoph Schlatter sprach mit ihr über prägende Erfahrungen und über Ämter, Zeiten und Lebenspläne.
Gerade ein paar Monate alt warst du, als die Mauer fiel – für meine Generation ein prägendes Ereignis, sowohl der (kurzen) Hoffnung als auch der (zunehmenden) Ernüchterung. Welches ist das früheste weltgeschichtliche Ereignis, an das du dich erinnerst?
Bei Nine-Eleven war ich 12 Jahre alt und mit meinen Eltern grade beim Einkaufen in der Migros. Daneben war ein M-Electronics-Geschäft, wo plötzlich auf allen Bildschirmen Flugzeuge in die Zwillingstürme flogen. Mein Papi schimpfte noch: «Was ist denn das für ein miserabler Film!»
Und welches Ereignis hat dich als Jugendliche politisiert?
Ich bin nicht durch ein einzelnes Ereignis quasi von 0 auf 100 beschleunigt worden. Ich hatte aus meiner Familie eine gewisse politische Grundierung; man hat bei uns Nachrichten gehört und Zeitungen gelesen und auch darüber diskutiert. Eine besondere Rolle spielte meine Geschichtslehrerin an der Sekundarschule: Sie hat auch das aktuelle Zeitgeschehen in den Unterricht eingebracht und politische Debatten angeregt. Mit ihr war ich auch zum ersten Mal an einer Demonstration, nämlich gegen den Irakkrieg von George W. Bush.
Du hast dein Elternhaus erwähnt. Was für einem Milieu entstammst du?
Mein Vater war Automechaniker, heute ist er Lokführer. Und meine Mutter ist Prophylaxeassistentin. Man kann also tatsächlich von Büezern sprechen, die (noch) mit den Händen und nicht am Bildschirm arbeiten. Dass der Vater wie selbstverständlich stets Gewerkschaftsmitglied war, hat sicher abgefärbt. Und dann habe ich – vielleicht im Gegensatz zu anderen in meiner Clique – auch auf die sozialkritischen Texte der Punkmusik geachtet, die wir damals hörten. Und mir dazu meine Gedanken gemacht. So richtig los ging’s dann aber erst, als ich von zuhause aus- und nach Glattfelden zog. Und der SP beitrat.
Der SP, nicht den Juso?
Ja, irgendwie habe ich diese Entscheidung nie aktiv hinterfragt. In Glattfelden gab es keine Juso und ich habe mich seit je her immer der SP zugehörig gefühlt.
Kannst du dein politisches Credo in zwei, drei Sätzen formulieren?
Wir Menschen sollten alle die gleichen Chancen haben. Egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Abstammung. Und vor allem auch: egal wo auf diesem Globus jemand geboren ist. Alle haben Anrecht und Anspruch auf Sicherheit und Unversehrtheit, auf ein Dach überm Kopf, auf Trinken und Essen und Bildung. Alle sollen ein schönes Leben leben können. Und da gilt es eben, zu jenen zu schauen, denen es nicht so gut geht. Das tut die SP. Deshalb kam für mich nie eine andere Partei in Frage.
Du hast schnell «Karriere» gemacht. Mit noch nicht einmal 30 Jahren bist du nicht nur Sektionspräsidentin im VPOD und SP-Kantonsrätin, sondern auch Finanzvorsteherin von Glattfelden.
Dahinter steht eine Verkettung von – je nach Sichtweise – glücklichen oder unglücklichen Umständen… Gerade auf dem Land ist es halt so: Wenn da eine auftaucht, die weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen ist und die bereit ist, sich einzubringen, dann kommt sie recht schnell in die Kränze für das eine oder andere Ämtli. Bei mir war es erst die Verkehrs-, dann die Rechnungsprüfungskommission. Und weil ich das wohl nicht allzu schlecht gemacht habe, hat man mir nach meiner Wahl in den Gemeinderat die Finanzen anvertraut. Irgendjemand musste es ja machen…
Linke auf dem Lande gelten allgemein als recht leidensfähig. Sie sind Niederlagen gewohnt…
Wie wahr! In Glattfelden geht man immerhin anständig miteinander um, aber auf der Sachebene ist es oft bitter – noch frustrierender als im Kantonsrat. Ich bin fast immer in der Minderheit. Gleichzeitig muss ich sagen, dass ich vor dem Exekutivamt wirklich Respekt habe. Wichtig ist, dass man sich nicht scheut nachzufragen, wenn man etwas nicht versteht. Der Begriff «Aktivierungsgrenze» war mir nicht geläufig. Was hat es damit auf sich? Was bewirkt es, wenn wir diese Grenze höher oder tiefer ansetzen? Da muss, kann und darf ich viel lernen!
Ich habe keine Ahnung, was eine Aktivierungsgrenze ist.
Es geht um die Frage, ab welcher Höhe Ausgaben in der Investitionsrechnung statt in der Erfolgsrechnung verbucht werden, so dass sie dann als Aktivposten auch in der Bilanz auftauchen. Das gilt übrigens für die Gemeindepolitik ebenso wie für mein Gewerkschaftsamt: Es ist wunderbar, sich auf einen Apparat stützen zu können, der nicht nur professionell ist, sondern auch freundlich und geduldig.
Warum ist es eigentlich so aussergewöhnlich, dass eine knapp 30-Jährige ein Exekutivamt in einer Gemeinde ausübt? Oder das Präsidium einer VPOD-Sektion? Warum findet man da üblicherweise Leute der Generation 55 plus?
Der Hauptgrund dürfte sein, dass die meisten Leute in meinem Alter entweder noch in der Ausbildung sind oder gerade erst ins Berufsleben starten und sich erst einmal auf diese Dinge konzentrieren wollen. Andere haben vielleicht bereits Kinder und scheuen eine Zwei- bis Dreifachbelastung. Auch ist die institutionelle Politik nicht gemacht für Menschen, die alle paar Monate umziehen, wie man das in jungen Jahren gerne tut. Und auch nicht unbedingt für Leute, die alles aufs Mal verändern wollen. Und zwar sofort.
Du bist eher die Schafferin als die Rebellin.
Da ist vielleicht etwas dran. Jedenfalls möchte ich konkret im Hier und Jetzt etwas bewegen. Und ich möchte auch Verantwortung übernehmen für die Welt und das Dorf, in denen ich lebe.
Das ist aber kein Opfer, oder?
Oh nein! So sollte das auf keinen Fall rüberkommen. Ich nehme auch für mich selber megaviel heraus aus dieser Arbeit, ich lerne neue Dinge und neue Menschen kennen. Klar freue ich mich wie andere Leute auf die grossen Sommerferien, weil ich da mal ein paar Wochen Pause habe. Aber ehrlich gesagt: Ich könnte mir mein Leben ohne die Politik, ohne Gremien und Sitzungen ja gar nicht vorstellen.
Noch mehr Sitzungen sind es, seit du Präsidentin des VPOD Zürich Kanton bist. Eine Herausforderung?
Sitzungen leiten oder mit den Medien reden, das ist für mich eigentlich nichts Neues. Und wie gesagt: Die Zusammenarbeit mit den Sekretärinnen und Sekretären ist äusserst konstruktiv. Es ist ja nicht so, dass ich jetzt da als neue Tätschmeisterin einfahre und befehle, was gemacht werden muss. Aber ich kann Impulse geben, Fragen stellen, vielleicht auch mal dumme oder vermeintlich dumme, und diese Konstellation dünkt mich echt produktiv. Es braucht in diesem Amt ein gewisses Gespür: Welches Geschäft sollte in welchem Gremium besprochen werden? Wer muss bei welchem Thema involviert werden? Welchen Scherz verträgt es wo und wo eher nicht? Aber bisher sind meine Erfahrungen extrem positiv.
Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen der Arbeit in der Gewerkschaft und jener in der Partei?
Ich denke schon. Die Gewerkschaft ist in bestimmen Dingen näher an den Leuten dran. Es geht in Konflikten mit dem Arbeitgeber oft sehr direkt um Existenzielles, nämlich um die Existenzsicherung der Mitglieder. Und die Idee, dass sich die Vereinzelung und das Ausgeliefertsein überwinden lassen, indem man sich zu einer Gewerkschaft zusammenschliesst, dünkt mich schon ziemlich genial. Wenn auch durchaus noch ausbaufähig, gerade in unserem Organisationsgebiet.
Die Schwierigkeiten des VPOD haben sicher auch mit der Breite dieses Gebiets zu tun. Es gibt eine Unmenge von Arbeitgebern, mit denen wir einzeln verhandeln müssen. Diese Diversität spiegelt sich in den Mitgliedern und in unseren Strukturen, die für Neuankömmlinge ja auch nicht leicht zu durchschauen sind…
In der Tat. Langsam beginne ich zu verstehen, wie das alles gewachsen ist mit all den Sektionen und Gruppen und mit dem starken Föderalismus, der unseren Verband prägt. Trotzdem frage ich mich, ob wir uns dadurch nicht manchmal schwächer machen, als wir eigentlich sind. Ich als Greenhorn habe die Hoffnung, dass gewisse althergebrachte Konfliktlinien dann irgendwann auch mal überwunden werden können. Jedenfalls nutze ich meine jugendliche Naivität ungeniert dazu, Fragen zu stellen und Vorschläge zu machen. Auch wenn nicht alles auf Anhieb gelingt.